Stefan Doncks auf dem Camino des Lebens: Erinnerungen, Begegnungen und der Ruf des Herzens

Datum:
Sa. 24. Feb. 2024
Von:
Stefan Doncks

"Ein Geschenk des Lebens: Mein Weg auf dem Camino del Norte"

Warum ich auf den Camino del Norte gegangen bin? Es war mehr als der Wunsch zu wandern. Nach einer schweren Herzoperation im Jahre 2015 und dem viel zu frühen Tod meines Bruders Hans-Michael verspürte ich den Drang, das Geschenk meines neuen Lebens zu feiern und die Trauer zu verarbeiten. Meine Familie stand von Anfang an hinter mir, und mit der Jakobsmuschel meines verstorbenen Bruders Hans-Michael im Gepäck – die ich in seinem Nachlass fand – begann ich meine Pilgerreise entlang der Nordküste Spaniens. Ohne es zu wissen, trug ich damit auch einen Teil seines Traums, den Camino zu gehen, mit auf den Weg.

Vom ersten Tag an war die Reise intensiv und von unvergesslichen Begegnungen geprägt. Die ersten Schritte in Irún waren mühsam, doch im strömenden Regen erlebte ich ein kleines Wunder: Ein älterer Herr mit einer Pilgermuschel tauchte plötzlich neben mir auf, um mir wortlos den Weg zu zeigen, dann war er einfach verschwunden. Wie er kam und wieder ging, erinnerte mich an meinen Schwiegervater Heinz, und in diesem magischen Moment fühlte ich mich plötzlich sicher und getragen.

Jede der 32 Etappen führte mich durch andere Regionen Spaniens und bot neue Eindrücke und Herausforderungen.

Das Baskenland war mein Einstieg und beeindruckte mich mit seinen schroffen Küsten und malerischen, oft nebelverhangenen Hügeln. Die Einheimischen, stark verwurzelt in ihrer Kultur und ihrer eigenen Sprache, waren herzlich und boten eine beeindruckende Vielfalt an kulinarischen Spezialitäten. Jeder Schritt entlang der felsigen Küstenlinie fühlte sich wie ein Abenteuer an, und die steilen Anstiege testeten meine Ausdauer gleich zu Beginn.

Weiter in Kantabrien änderte sich die Landschaft. Das Meer begleitete mich sanfter, die Hügel wurden sanfter und üppig grün. Ich wanderte durch Eukalyptuswälder und Felder, in denen Kühe weideten, und die klare Luft war erfüllt vom Duft der Küstenpinien. Die Stille, unterbrochen nur vom Rauschen der Wellen und Vogelgezwitscher, hatte etwas Friedvolles. Besonders eindrucksvoll waren die langen Strandabschnitte und Dünenlandschaften, die mir Gelegenheit boten, die Natur in ihrer Weite zu genießen. Ein besonderer Moment war meine Begegnung mit einem Labrador, der wie unser verstorbener Hund Aika aussah. Er sah mich an, als wollte er mich an unsere schöne gemeinsame Zeit erinnern – ein Moment, der mich tief berührte.

In Asturien wurde das Wetter rauer, die Küste wilder, und ich begegnete den majestätischen Picos de Europa in der Ferne. Hier erlebte ich die tiefste Verbindung zur Natur und auch die intensivsten Gespräche mit anderen Pilgern. Jeder hatte seine eigene Geschichte, und doch vereinte uns die Suche nach einer tieferen Bedeutung im Leben. Carmelo, ein lebensfroher Italiener, half mir in diesen Momenten der Einsamkeit. Mit einem verschmitzten Lächeln und der Leichtigkeit, die der Camino zu bieten hat, lenkte er mich ab, wenn die Anstiege besonders anstrengend wurden. Asturien fühlte sich rau und ursprünglich an – ein Landesteil, der mich Demut und Ehrfurcht lehrte.

Schließlich kam ich nach Galicien, wo das Ziel – Santiago de Compostela – immer näher rückte. Diese Region mit ihren nebligen Wäldern, kleinen Dörfern und tiefen Tälern hatte etwas fast Mystisches. Die Atmosphäre war geprägt von einer leisen, feierlichen Ruhe, die mich auf den letzten Etappen tief bewegte. Die kleinen Kapellen und oft menschenleeren Wege gaben mir Gelegenheit, die vielen Erlebnisse der vergangenen Wochen noch einmal in meinem Herzen vorbeiziehen zu lassen. Die galicische Kultur, die Sprache und der unverwechselbare Duft des Waldes füllten die letzten Schritte meines Weges mit einer besonderen Kraft und Melancholie.

Nach Wochen voller Anstrengungen und unglaublicher Momente erreichte ich schließlich Santiago de Compostela. Im Pilgerbüro, beim Abholen meiner „Compostela“, erzählte ich dem Mitarbeiter von meinem Bruder und meiner Reise für ihn. Ohne zu zögern, fügte er Michaels Namen hinzu – eine Geste, die in diesem Moment den Kreis schloss. Ich fühlte, dass ich den Weg nicht nur für mich, sondern auch für ihn gegangen war.

Der Camino del Norte hat mein Herz geöffnet und mich wieder daran erinnert, was es bedeutet zu leben, zu lieben und loszulassen. Ich kehre heim mit einer leisen, tiefen Freude und einem unbeschreiblichen Dank an das Leben, das mir die Möglichkeit gegeben hat, diese Reise zu gehen. Der Camino selbst bleibt als ein Teil von mir, als eine unausgesprochene Erinnerung, die leise und gleichzeitig voller Kraft in mir weiterlebt – als Zeichen des Neuanfangs und der Liebe, die alle Entfernungen überwinden kann.

Stefan Doncks

Nachfolgend finde Sie einige Bilder von Herrn Doncks. Alle Bilder können unter folgendem Link eingesehen werden:

https://photos.app.goo.gl/hLgcc6mXUmw8MF368

Bilder Camino Stefan Doncks